26.11.2016 — 26.02.2017 | Parterre & Beletage
Ferdinand Gehr
Bauen an der Kunst
Wie kaum ein anderer Schweizer Künstler des 20. Jahrhunderts war der St. Galler Maler Ferdinand Gehr (1896–1996) während über sieben Jahrzehnten im öffentlichen Auftrag für Kirchen, Schulen, Gemeinden und Vereine tätig. Allein im Bereich der Malerei verantwortete er über 60 Projekte.
Während die Öffentlichkeit auf die modernen Bildfindungen oft mit Ablehnung reagierte und die Werke in den Kirchen mit Vorhängen verhüllt oder gar übermalt werden mussten, schätzten die damals führenden Architekten Gehrs einmaliges Gespür für räumliche Zusammenhänge und seine Fähigkeit, Innenräume in Abstimmung mit der Architektur zu gestalten. In enger Kooperation mit ihnen prägte Gehr bis in die 1990er-Jahre den modernen öffentlichen Raum in der Schweiz entscheidend mit.
Die Ausstellung «Ferdinand Gehr – Bauen an der Kunst» rückt nun erstmals Gehrs Werke am sakralen und profanen Bau ins Zentrum, denn diese zählen zu Recht zum Herausragendsten, was in den letzten Jahrzehnten in diesem Bereich geschaffen wurde.
Seine ersten Aufträge für sakrale Bauten erhielt Ferdinand Gehr in den 1930er-Jahren. Damals erlebte der Kirchenbau in Europa einen Aufschwung und verlangte nach neuen Bildfindungen, die den Bedürfnissen und den Techniken der Zeit Rechnung tragen sollten. Vor diesem Hintergrund wurden namhafte Architekten im In- und Ausland auf den sensiblen Künstler aus dem Rheintal aufmerksam. Gemeinsam mit bekannten Baumeistern wie Johannes Scheier, Otto Dreyer, Hermann Baur, Karl Higi, Ernest Brantschen, Hanns A. Brütsch, Hafner-Wiederkehr, Gottfried Böhm und Ernst Gisel war Ferdinand Gehr in der Schweiz und in Deutschland, Österreich und Portugal an vielen wegweisenden Bauten beteiligt, in denen Architektur und Kunst auf einzigartige Weise miteinander verschmolzen.
Während die bisherigen Ausstellungen und Publikationen zum Schaffen Gehrs ihr Augenmerk grösstenteils auf die Arbeit im Bereich der Tafelmalerei, des Holzschnittes und des Aquarells legten, setzt das Kunstmuseum Olten nun erstmals sein Wirken am sakralen und profanen Bau ins Zentrum der Auseinandersetzung. Denn es sind besonders diese für die Öffentlichkeit realisierten Projekte, welche Gehrs Bedeutung für die Schweizer Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ausmachen.
Mit «Ferdinand Gehr – Bauen an der Kunst» zeigt das Kunstmuseum Olten zwanzig Jahre nach dem Tod des Künstlers bereits die zweite monografische Ausstellung zu diesem einzigartigen Werk. Schon 1978 hatten Paul Meier und Peter Killer das Schaffen des Ostschweizers im Überblick gewürdigt. Der im Unterschied zu damals heute enger gefasste Fokus ist einem lokalen Anknüpfungspunkt zu verdanken, denn in Olten schuf Gehr mit dem grossen Chorwandgemälde, dem Baldachin und den Fenstern in der 1952 von Hermann Baur erbauten Marienkirche einen Markstein der modernen Schweizer Kirchenkunst.
Ferdinand Gehr – Die öffentlichen Aufträge (Publikation)
Zur Ausstellung erscheint eine reich bebilderte Publikation, die Gehrs öffentliche Aufträge erstmals repräsentativ vorstellt. Sie beschränkt sich bewusst auf diejenigen Projekte, welche sich der Wandmalerei bedienen und damit explizit das Verhältnis von gebauter Architektur und bildender Kunst thematisieren. Eine Auswahl der wichtigsten Beispiele aus der Schweiz, Deutschland und Portugal wird im Bildteil mit Fotografien des Architekten und ETH-Professors Marco Bakker dokumentiert und durch ein Werkverzeichnis sämtlicher malerischen Aufträge Ferdinand Gehrs komplettiert.
Mit Roland Züger, dem Redaktor der Architekturzeitschrift Werk, Bauen und Wohnen, der sich in seinem Text von architekturgeschichtlicher Seite her dem Schaffen Gehrs nähert, wird erstmals der Fokus bewusst auf die bauliche Qualität der Gehr’schen Malerei gelegt, während die Denkmalpflegerin Laetitia Zenklusen, eine profunde Kennerin der Abläufe in den 1950er Jahren, als Gehrs Bilder in den Kirchen verdeckt oder gar übermalt werden mussten, und Dorothee Messmer selbst die zeit- und kunstgeschichtlichen Bezüge im Schaffen des Malers ins Zentrum rücken.
Konzept und Gestaltung: Herrmann Germann, Zürich
Verlag: Scheidegger & Spiess, Zürich
ISBN 978-3-85881-533-0, 224 S., 49 CHF
Künstler*innen
Ferdinand Gehr (1896–1996)
1996 In Niederglatt (SG) geboren
1911 Schule des Industrie- und Gewerbemuseums St. Gallen
1914–18 Arbeit als Vergrösserer von Textilentwürfen im Stickereigeschäft Egli in Flawil
1919 Schüler von August Wanner an der Gewerbeschule St. Gallen für textiles Zeichnen
1922–23 Studium der Freskotechnik in Florenz
1925 Erste kleine Fresken
1923–24 Aufenthalt beim französischen Maler und Kunsttheoretiker André Lhote in Paris
1928–29 Deutschlandreise
1924 erstes eigenes Atelier in Niederglatt (SG)
1928 Atelier in Niederuzwil
1934–37 Entstehung einer Reihe bedeutender Fresken
Ab 1930 Zahlreiche Aufträge für Ausmalungen von Kirchen und Glasmalereien
1938 Heirat mit Mathilde Mazenauer
1956 erste Gesamtausstellung in St. Gallen
1994 letzte grosse Einzelausstellung zu Lebzeiten des Künstlers im Kunsthaus Zürich
1998 Gründung der Gehr-Stiftung
2001 Retrospektive im Kunstmuseum St. Gallen und in der Fundaçao Calouste Gulbenkian in Lissabon
2016/17 Ausstellung Ferdinand Gehr – Bauen an der Kunst im Kunstmuseum Olten, begeiltet von einer Publikation über die öffentlichen Aufträge Gehrs
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