17.02. — 21.04.2024 | Dienstraum
Mahtola Wittmer
Dienstraum #23 / JKON-Ausstellungspreis 2023
Auf Einladung der SBB bespielt das Kunstmuseum Olten einen ehemaligen Dienstraum auf dem Perron 7 neben dem legendären Bahnhofsbuffet mit zeitgenössischer Kunst. Die 23. Intervention hat Mahtola Wittmer (*1993) gestaltet. Sie wurde 2023 im Rahmen der Gastausstellung der JKON mit dem Ausstellungspreis des Kunstmuseums Olten ausgezeichnet. Dieser besteht in der Einladung, den Dienstraum zu bespielen.
Mahtola Wittmer beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Praxis mit der Interaktion zwischen Menschen, zwischen dem Ich und dem Du – auch in Bezug auf die Umwelt und das gesellschaftliche Kräftefeld. Entsprechend kreisen die drei Performance-Videos, welche die Künstlerin im Dienstraum zeigt, um Aspekte zwischenmenschlicher Beziehungen und Begegnungen. Auf verschiedenen Ebenen werden darin Emotionen, Normen und Abhängigkeitsverhältnisse reflektiert. Mit den Taubenspikes, die im öffentlichen Raum und auf Bahnhöfen allgegenwärtig sind, weitet die Künstlerin ihre Beobachtungen auf das Verhältnis von Mensch und Tier aus und denkt über Ausgrenzung und Abwehrmechanismen nach.
Die präsentierten Werke gehören zu der inzwischen rund 40 Performances umfassenden «Fragment»-Reihe, die seit 2021 in Kooperation mit der Mitperformerin Lotta Gadola und dem Filmer Moritz Hossli entstanden ist.
Die Settings der «Fragmente» sind radikal einfach, die darin ausgeführten Handlungen wirken ernst und zugleich von einer spielerischen, humorvollen Leichtigkeit getragen: In einem abstrakt gehaltenen, weissen Raum begegnen sich jeweils zwei in neutralem Schwarz gekleidete Menschen und interagieren miteinander.
Im ersten Moment scheint alles unauffällig und vertraut: Zwei Personen halten Händchen, zwei Personen im Hoodie stehen sich gegenüber, eine Person mit einer Stofftasche über der Schulter steht da und wartet. Doch dann schleicht sich Unerwartetes ein, die Begegnungen nehmen eine unkonventionelle Wendung. Wasser – oder sind es Tränen, Schweissperlen? – tröpfelt aus den ineinandergeschlungenen Händen, die beiden Personen im Hoodie beginnen, sich entlang ihrer Kapuzen zusammenzuheften, um sich wenig später aus der gemeinsamen «Haut» zu schälen, und aus der Tasche der Wartenden rinnt Salz...
Wie Spiegel wirken die bildhaften Performance-Miniaturen also auf die Betrachtenden zurück. Indem sich die Situationen auf alltägliche Handungen, elementare Gefühle und Bedürfnisse beziehen, die den meisten Menschen wohl vertraut sind, bieten sie vielfältige Identifikationsmöglichkeiten und Anknüpfungspunkte, um über eigene Erwartungen und Verhaltensmuster nachzudenken.
Die für den Dienstraum ausgewählten Arbeiten tragen der spezifischen Erlebniswelt des Bahnhofs Rechnung. Täglich treffen hier tausende Menschen aufeinander, die verschiedene innere «Fahrpläne» verfolgen und ganz unterschiedliche «Lebensrucksäcke» mit sich führen. Die meisten sind einander fremd, nehmen kaum voneinander Notiz, obwohl sie Zeit und Raum für einen gewissen Moment miteinander teilen. Aber es kommt auch zu Begegnungen und zu Austausch. Man beobachtet oder wird beobachtet, vielleicht geniesst man den Auftritt, ist neugierig oder fühlt sich unwohl oder gar belästigt und bedroht. Als Ort des Ankommens und Abschiednehmens ist der Bahnhof schliesslich ein Schauplatz starker Emotionen.
In ruhigen und reduzierten Bildern erzählen die Performance-Fragmente von Mahtola Wittmer davon, wie schön, kompliziert oder unangenehm zwischenmenschliche Beziehungen sein können und wie sehr die kollektiven und individuellen Lebensrealitäten von Routine und Achtsamkeit, von gesellschaftlichen Konventionen, Machtgefällen und Abhängigkeiten beeinflusst werden. Damit nimmt die Künstlerin durchaus auch gesellschaftskritische und feministische Perspektiven ins Visier.
Ensemble, c’est tout!
Unserem Jahresmotto «Ensemble, c’est tout!» entsprechend, machen wir 2024 nichts allein. Alle Ausstellungsprojekte entstehen in Zusammenarbeit mit anderen. Damit akzentuieren wir eine Praxis, die wir schon länger pflegen und weiterentwickeln, um die Möglichkeiten eines «offenen Museums» auszuloten.
In diesen Kontext gehört auch die als Nachwuchsförderung verstandene, etablierte Kooperation mit der JKON (Junge Kunst Olten). Aus den vom Verein JKON einmal jährlich in Olten organisierten Ausstellungen, die sich als Förderplattform für junge Kunstschaffende verstehen, zeichnet das Kunstmuseum Olten jeweils eine Position mit einem Ausstellungspreis aus, der im Folgejahr eine Solo-Präsentation im «Dienstraum» ermöglicht.
Im Frühling 2023 war die JKON (Junge Kunst Olten) erstmals mit einer thematischen Ausstellung im Kunstmuseum Olten zu Gast. Unter dem Titel «Exploit me» vereinte die Schau Beiträge von Teilnehmer:innen der acht bisherigen JKON-Ausgaben, die sich mit Abhängigkeitsverhältnissen, Ausbeutung und Machtstrukturen befassten. Mahtola Wittmer zeigte dort ihre Skulptur «Gathering», die analog zur Fragment-Reihe auf Muster und Konfliktfelder in zwischenmenschlichen Begegnungen abzielt. Anziehung und Abstossung, Nähe und Spannung, gesellschaftliche Konventionen und
Disziplinierungsversuche – Scheitern inklusive – finden darin eine ebenso einfache wie einprägsame und vieldeutige bildliche Ausprägung.
Künstler*innen
Mahtola Wittmer
Die Künstlerin wurde 1993 in Luzern geboren und ist in einer Künstlerfamilie aufgewachsen. Sie studierte an der Hochschule Luzern Design & Kunst, an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und an der Akademie der Bildenden Künste Wien in den Fachbereichen Medienkunst, Performance und Installation.
Seit 2015 nimmt sie regelmässig an Ausstellungen und Performance-Anlässen im In- und Ausland teil. Einzelausstellungen konnte sie bereits im Aargauer Kunsthaus Aarau 2019 und im Kunstmuseum Luzern 2021 realisieren.
Für ihr Schaffen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. 2020 mit dem Preis der Kunstgesellschaft Luzern und 2024 mit dem Manor Kunstpreis Zentralschweiz, der ihr Ende November eine Soloshow mit Publikation im Kunstmuseum Luzern ermöglicht.
Mahtola Wittmer ist auch als Kunstpädagogin tätig.
JKON (Junge Kunst Olten)
Die JKON, Junge Kunst Olten, fördert junge Künstler:innen. Bisher bot sie ihnen acht Jahre in Folge im Rahmen einer dreitägigen Ausstellung eine Plattform, um ihre Kunstwerke einem breiten Publikum zu präsentieren. Rund 15–20 Kunstschaffende stellten jeweils an der JKON aus.
Die Vergabe der Ausstellungsplätze erfolgte durch einen öffentlichen Aufruf und eine anschliessende Selektion mit Fachpersonen aus dem Kunstbereich. An der Finissage wurden jeweils drei Förderpreise vergeben, u.a. der Ausstellungspreis des Kunstmuseums Olten.
2023 wich die JKON von dieser Praxis ab und war mit einer thematischen im Kunstmuseum Olten zu Gast. Unter dem Titel «Exploit me» vereinte die Schau Beiträge von Teilnehmer:innen der acht bisherigen JKON-Ausgaben, die sich mit Abhängigkeitsverhältnissen, Ausbeutung und Machtstrukturen befassten.
Aktuell macht JKON eine künstlerische Pause. Wir sind gespannt, wie es weitergeht...
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