27.04. — 03.11.2024 | Dienstraum
verlängert bis 24.11.2024
Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger
Dienstraum #24
Altar des Eiligen Geists
Aussenstation der Ausstellung «Der Eilige Geist kommt zur Ruhe» im Kloster Schönthal
Auf Einladung der SBB bespielt das Kunstmuseum Olten einen ehemaligen Dienstraum auf dem Perron 7 neben dem legendären Bahnhofsbuffet mit zeitgenössischer Kunst. Die 24. Intervention hat das Künstlerduo Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger gestaltet. Sie deklarieren den Dienstraum mit einem «Altar des Eiligen Geistes» zur «Pilgerstation» auf dem Weg zu ihrer Ausstellung «Der Eilige Geist kommt zur Ruhe» im Kloster Schönthal.
Mit dem installativen Grossprojekt «Der Eilige Geist kommt zur Ruhe» wandeln sich das vor 499 Jahren geplünderte Kloster Schönthal und seine Umgebung erneut zum Pilgerort. Ein wichtiger Teil des Projekts besteht in der Aktivierung der alten Pilgerwege nach Langenbruck BL mittels einer digitalen Pilgerkarte, zahlreichen Andachtssttionen und zwei besonderen Wegmarken in Basel und Olten sowie einem reichhaltigen Veranstaltungsprogramm.
Teigprozession und Pilgerfest
Bekannt für ihre vor Fantasie und mit leichtfüssigem Humor überbordenden Installationen, kreieren Steiner & Lenzlinger auf Einladung des Klosters mit Bezug auf das Potential wunderkräftiger Wallfahrtsorte ein gross angelegtes, lebendiges Geflecht aus den Wurzeln, die bis in die Gegenwart und darüber hinaus reichen. Ihr Standort in diesem Gefüge ist konzeptionell betrachtet exzentrisch, kartografisch gesehen jedoch mittendrin: Seit 13 Jahren leben beide in Langenbruck und haben nun die Dorfgemeinschaft animiert, aktiv am Kunstprojekt teilzuhaben. Das Projekt «Der Eilige Geist kommt zur Ruhe» ist als Prozess angelegt, der durch die Erfahrungen und Mitarbeit aller Beteiligten und Besuchenden entsteht.
Eingeweiht wurde der neue alte Kraftort am 27. April 2024 mit einem grossen «Pilgerfest» und einer «Teigprozession» vom Dorf Langenbruck BL ins Schönthal – ein Happening zwischen «katholischer Prozession, Woodstock und Streetparade» (Caspar Reimer, BZ) mit über 1000 Beteiligten von nah und fern. Den Weg säumen zahlreiche, in Kooperationen mit unterschiedlichen Personen und Vereinen neugeschaffene ortsspezifische Installationen (Andachtsorte), die auf dem Areal des Klosterensembles mit einer Hauptinstallation in der Kirche zusammenlaufen.
Ausstellung in der Klosterkirche
Die Ausstellung von Steiner & Lenzlinger in der ehemaligen Klosterkirche besteht aus einer Vielzahl von «Altaren» (für Wasser, Salz, Schweine, Eier, Handies und mehr). Ihr Herzstück ist der grosse «Brot-Altar». Er präsentiert nicht nur eine überwältigende Vielfalt an Broten aus aller Welt, sondern lädt die Besucher:innen mit zwei integrierten Öfen dazu ein, selber Pilgerbrote zu backen (Teig mitnehmen!). Die dabei entstehenden Gerüche und Aromen sind der «Weihrauch der Inszenierung», so die Idee des Künstlerduos. «Der Eilige Geist kommt zur Ruhe» birgt keine eindeutigen Botschaften oder Themen, sondern spielt mit Andeutungen, Verweisen und Assoziationen. Damit regt das Künstlerduo zur Reflexion über die Gegenwart und zum Backen von neuen Visionen an.
Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger, die selbst in Langenbruck leben, arbeiten für ihr Gross-Projekt mit allem zusammen, was im Verhältnis zum Kloster Schönthal stand und heute steht. Das Spektrum reicht von der bewegten Geschichte des Klosters, über die architektonischen Anlagen mit dem romanischen Kirchenbau (1145), hin zur klostereigenen Stiftung mit ihren in der umliegenden Juralandschaft eingebetteten Skulpturen sowie den Landwirtschaftsbetrieben und Menschen des nahegelegenen Dorfes Langenbruck.
Altar des Eiligen Geistes in Olten
Die von Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger für den Dienstraum am Bahnhof Olten neu geschaffene Skulptur hat einen pyramidalen Aufbau, erinnert in seiner Farbenpracht aber auch an eine reich dekorierte Geburtstags- oder Hochzeitstorte. Zuberst thront, von einem Strahlenkranz aus getrockneten Ären und Gräsern aus dem Schönthal umgeben, die Skulptur des Eiligen Geistes. In kleinen Schalen präsentierte Getreidekörner aus lokaler Produktion verweisen auf einen zentralen Aspekt der Ausstellung im Schönthal und auf eine uralte Kulturtechnik (das Backen), der im religiösen Rahmen eine transzendierende Funktion zukommen: Die Wandlung vom Teig aus gemahlenem Getreide, Wasser und Salz zum Brot. Ketten aus Tierknochen und künstlichen Blüten, die an Reliquien oder Gebetsketten denken lassen, schmücken den «Altar».
Dass sich Steiner & Lenzlinger für den «Altar des Eiligen Geistes» den Bahnhof Olten als Standort ausgesucht haben, hat guten Grund: Olten liegt nicht nur an einem alten Pilgerweg ins Schönthal, der Bahnhof Olten markiert auch den «Kilometer Null» des Schweizer Schienennetzes, das von hier aus vermessen wird. Darüber hinaus ist der Bahnhof aus betrieblicher Sicht ein wichtiger Knoten im Eisenbahnnetz unseres Landes, der täglich von 80'000 Reisenden (Stand 2019) frequentiert wird. Und neben dem Gleisfeld steht das grosse Gebäude der Betriebszentrale Mitte der SBB, von der aus, im Verbund mit drei weiteren Betriebszentralen, der landesweite Zugverkehr koordiniert und überwacht wird, mit rund 8400 Personen- und 1850 Güterzügen täglich. Somit kann der Bahnhof Olten im rastlosen Herzen der Schweiz als Symbol für die enorme Gewindigkeit und Betriebsamkeit unserer – von digitalen Technologien und Sozialen Medien angeheizten – schnelllebigen Gegenwart dienen. Der «Altar des Eilien Geistes» lädt zur Entschleunigung, zum Innehalten und zur Reflexion ein und möchte die Eiligen zum «Gehen» verführen.
Alte Pilgerwege neu belebt
Das Schöntal ist aus allen Himmelsrichtungen zu Fuss zu erreichen. Der Kraftort liegt im Zentrum eines weit verzweigten alten Pilgerwegnetzes zwischen Genf, Solothurn, Willisau, Zürich oder Basel.
Wer zu Fuss kommt, wird durch die grossartige Juralandschaft belohnt und kann bis zum 3. November 2024 die in verscheidenen Kooperationen kreierten Andachtsstationen zwischen Langenbruck sowie auf der digitalen Pilgerkarte eingezeichnete Landmarks auf den anderen Wegen entdecken.
Anhand einer für das Projekt kreierten digitalen Pilgerkarte lädt das Künstlerpaar dazu ein, den Weg ins Schönthal und seine Installationen bewusst zu Fuss zu entdecken – z. B. von Olten aus, wo der «Altar des Eiligen Geistes» im Dienstraum des Kunstmuseum die Rastlosen, Eiligen, Reisenden und Wartenden auf dem Perron 7 des Bahnhofs zur Entschleunigung anstiften möchte.
Ein möglicher Weg von Olten ins Schöntal führt über Trimbach, Hauenstein-Ifental und den Belchen: ca. 13 km, 4 h Wanderzeit. Alternativ kann ein Teil des Wegs (bis Hauenstein-Ifenthal) mit dem Postauto zurückgelegt werden.
Zwei spezielle Wegmarken / Altare in Basel und Olten
- Im neuen Kunsthaus Baselland von Buchner Bründler Architekten auf dem Dreispitzareal in Münchenstein BL istnder «Altar des Prekären» bis am 18. August in der grossen Eröffnungsschau «Rewilding» zu sehen.
- Im Dienstraum des Kunstmuseums Olten auf dem Perron Nr. 7 im Bahnhof Olten, am Nullpunkt des Schweizer Schienennetzes, steht der «Altar des Eiligen Geistes».
Ensemble, c'est tout!
Unser Jahresmotto «Ensemble, c'est tout!» sagt es: 2024 machen wir nichts allein. Alle Ausstellungen entstehen in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, Vereinen oder Personen(gruppen). Einige der Projekte wurden an uns herangetragen, andere haben wir selbst angestossen. Damit akzentuieren wir eine Praxis, die wir seit Jahren pflegen und weiterentwickeln.
Publikation
Zum Projekt ist im Verlag Lars Müller Publishers, Zürich, im September 2024 eine Publikation erschienen. Das aussergewöhnliche Buch «Der Eilige Geist kommt zur Ruhe» dokumentiert die Total-Installation des Künstlerduos im Kloster Schönthal anhand von aufschlussreichen Texten und zahlreichen Fotografien. Die Publikation ist eine Liebeserklärung an das Kloster Schönthal und seine Umgebung, aber auch im weiteren Sinne an das Zusammenspiel von Landschaft und menschlicher Gemeinschaft.
von Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger
mit Fotografien von Heiner Grieder, Chandra Mäder, Diego Sonderegger
mit einem Essay von Claudia Voigt
und mit Beiträgen von Adriana Basso, Felix Gugerli, Irene Künzle, Christoph Rast, John Schmid, Danielle Sonderegger und Esther Thommen
Design: Emanuel Tschumi
Paperback, 16,5 × 24 cm, 256 Seiten, 407 Illustrationen
Zürich: Lars Müller Publishers, 2024
ISBN 978-3-03778-771-7
Pressestimmen (Auswahl)
- Kultur-Tipp, 24/10, Vorschau von Frank von Niederhäusern
- Kirchenbote, 22.4.2024, Beitrag von Noemi Harnickell
- Fernsehen SRF1 – Tagesschau, 28.4.2024
- BZ, 29.4.2024, Besprechung Caspar Reimer
- FRIDA Magazin, 16.5.2024, Blog-Beitrag «Kunst und Brot. Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger – Was tun gegen den Eiligen Geist?» in der Serie «FRIDA trifft» von Mathias Balzer und Helena Krauser
Künstler*innen
Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger
Gerda Steiner (* 1967) & Jörg Lenzlinger (* 1964) arbeiten seit 1997 zusammen und kreieren immersive ln-Situ-lnstallationen. Das Publikum ist eingeladen, in ein fantastisches vegetatives Universum einzutauchen oder an Experimenten teilzunehmen, die ihre Sinne und ihren Geist wecken. Die ebenso beunruhigenden wie bezaubernden Installationen der Kunstschaffenden knüpfen Verbindungen zwischen antagonistischen Welten und schlagen vor, das seltsame Labor des Lebendigen mit seiner Biodiversität zu beobachten und Vorstellungen von Fruchtbarkeit und Wachstum zu hinterfragen.
Sie nahmen an der Expo02 mit der gigantischen «Heimatmaschine» teil. An der Biennale von Venedig 2003 vertraten sie die Schweiz mit einem filigranen «Falling Garden» in der Kirche San Stae. Weitere invasive Installationen im 21st Century Museum in Kanazawa Japan, in der Barockbibliothek in St. Gallen, im ACCA Melbourne, im Kunsthaus Bregenz und im Museum Tinguely Basel. Zu den jüngsten Ausstellungen zählt die Präsentation «Copain» im FRAC in Marseille. Die Umsetzung ihres Projekts für eine Metro-Station in Paris wird 2024 abgeschlossen sein.
Steiner & Lenzlinger wohnen in Langenbruck BL.
Das Kloster Schönthal
1145 bestätigt eine Urkunde den Froburger Grafen Adalbero als Stifter des Klosters. 1187 wird die Kirche der Muttergottes Maria geweiht, 1266 finden zum ersten Mal die Benediktinerinnen als Nonnen Erwähnung. Um 1400 fällt das Amt Waldenburg an die Stadt Basel. Kurz danach übernimmt der Orden der Serviten das Kloster.
Den Kirchweihtag 1525 – vier Jahre vor der Basler Reformation – nutzen die dem Kloster untertänigen Bauern zur Plünderung und Verwüstung.
Von 1645 bis 1682 wird in der Klosterkirche eine Ziegelbrennerei betrieben. Nach der Kantonstrennung zwischen Basel-Stadt und Basel-Landschaft ersteht 1833 der Basler Bankier Merian das Kloster als Sommersitz für seine Familie.
Seit 1967 steht die Kirche unter Denkmalschutz, 2000 wird sie durch John Schmid renoviert und ihrer neuen Bestimmung als Kunstort zugeführt. 2018 wird die Stiftung Sculpture at Schoenthal mit der Stiftung Edith Maryon fusioniert. Der Kunst- und Kulturbetrieb wird vom Verein Kloster Schönthal weitergeführt.
Seit bald 25 Jahren entwickeln internationale und Schweizer Künstler:innen ortsspezifische Skulpturen für die Wiesen und Wälder des Schönthals. Zuvor machen sie sich jeweils mit dem Ort, seiner Geschichte und der archaischen Jura-Landschaft vertraut.
Die Sammlung wächst in aller Ruhe und im Sinne eines «work in progress». Zur Zeit säumen 33 Werke von 23 Künstlerinnen und Künstlern die Pfade auf dem Gelände.
Ansichten
Veranstaltungen
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Wandertipp
Viele Wege führen ins Schöthal –
Entdecken Sie alte Pilgerwege neu!
Das Schönthal bei Langenbruck BL ist aus allen Himmelsrichtungen zu Fuss zu erreichen. Der alte Kraftort liegt im Zentrum eines weit verzweigten alten Pilgerwegnetzes zwischen Genf, Solothurn, Willisau, Zürich und Basel.
Wer zu Fuss kommt, wird durch die grossartige Juralandschaft belohnt und kann bis zum 3. November 2024 zahlreiche für das Ausstellungsprojekt «Der Eilige Geist kommt zur Ruhe» entstandene Andachtsstationen und ausgeschilderte Landmarks entdecken.
Mit der für ihr Projekt kreierten digitalen Pilgerkarte schlägt das Künstlerpaar Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger verschiedene Wanderrouten vor – z. B. von Olten aus, wo der «Altar des Eiligen Geistes» am Bahnhof Olten aus Ausgangspunkt dient.
Wanderung Olten – Schönthal BL
Ein möglicher Weg von Olten ins Schönthal führt über Trimbach, Hauenstein-Ifental und den Belchen: ca. 13 km, 4 h Wanderzeit. Alternativ kann ein Teil des Wegs (bis Hauenstein-Ifenthal) mit dem Postauto zurückgelegt werden.