17.05. — 28.08.2025 | Dienstraum

Jan Hostettler

zusammen scheitern
Dienstraum #26

Auf Einladung der SBB bespielt das Kunstmuseum Olten einen ehemaligen Dienstraum auf dem Perron 7 neben dem legendären Bahnhofsbuffet mit zeitgenössischer Kunst. Die 26. Intervention präsentiert ein Werk aus der Sammlung des Kunstmuseum von Jan Hostettler mit dem Titel «zusammen scheitern» von 2021. Es wurde im Rahmen der 37. Kantonalen Jahresausstellung der Solothurner Künstler:innen im Kunstmuseum Olten mit dem Preis der Rentsch-Stiftung ausgezeichnet und vom Kanton Solothurn für die Museumssammlung erworben.

Die aus gebrannten Ton-Scheiten aufgeschichtete Skulptur imitiert täuschend echt eine klassische, fachgerecht aufgebaute Holzbeige. Entstanden ist das Werk während einer mehrmonatigen Residency im Kloster Schönthal bei Langenbruck mit Unterstützung vieler Gäste und Freund:innen. «zusammen scheitern» berührt zentrale Fragen unserer Zeit und grundlegende Aspekte der Kunstproduktion. Es thematisiert die Bedeutung von Gemeinschaft, des Gemeinsam-Machens und des Austausches, den Wert von Handwerk, des Analogen und der Kenntnis traditioneller Kulturtechniken. Sie beschäftigt sich aber auch mit der Möglichkeit des Scheiterns und seiner Produktivität. Stabilität und Fragilität, Ordnung und Sorgfalt, Imitation und Künstlichkeit sind ebenso angesprochen wie die unüberwindbare Differenz zwischen Vorbild und Abbild als Wesensmerkmal der Kunst.

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Fremdkörper und Holz des Anstosses

Eine Scheiterbeige mitten im Bahnhof – was für ein Fremdkörper! Gerade deshalb passt die wortwörtlich vielschichte, mehrdeutige und zugleich schlichte Arbeit des im Kanton Solothurn aufgewachsenen Basler Künstlers Jan Hostettler hervorragend an diesen Ort. Als «Holz des Anstosses» gewissermassen, das Gedanken in Bewegung setzt. Als Angebot zum «Schiitlizählen», um die Wartezeit auf den nächsten Zug zu überbrücken. Oder – in seiner Funktion als Energiespeicher – als Verweis auf die Energie, die unsere Mobilität benötigt und freisetzt?


Das Kloster Schönthal als Inspiration

Entstanden ist «zusammen scheitern» 2021 im Rahmen eines mehrmonatigen Aufenthalts auf dem Gelände der Klosteranlage Schönthal bei Langenbruck. Aus der intensiven Auseinandersetzung mit dem idyllischen, abgelegenen Kunstort und seiner 800-jährigen Geschichte hat Hostettler verschiedene Arbeiten und ortsspezifische Projekte entwickelt. Das Kernstück der Werkgruppe bildet die Arbeit «zusammen scheitern».

Eine Besonderheit des Schönthals ist – neben der schnörkellosen Einfachheit des Ortes – das viele rundum vorhandene Holz, dessen Eigenschaften, Verwendbarkeit und kulturgeschichtlichen Bedeutungen der Künstler zu studieren begann. Abgeschieden, ohne Strom und nennenswerte Infrastruktur, sondern lediglich mit einfachem Werkzeug – einer Axt – und Holz zum Heizen ausgestattet, arbeitete er tagsüber im ehemaligen Melkstall des Klosters, bevor er abends zu seiner Familie in Basel zurück pendelte.


Kunst als Akt der Vergemeinschaftung und Reflexion

Trotz der Abgeschiedenheit des Arbeitsortes handelt es sich bei «zusammen scheitern» nicht um einen eigenbrötlerischen Auswuchs einsamer Tage, sondern um ein Gemeinschaftswerk. Denn anstatt seinen Gästen zum Schluss der Residency «einfach» das Resultat seines Wirkens in einer Ausstellung fixfertig zu präsentieren, lud der Künstler die Besucher:innen des Skulpturenparks Schönthal dazu ein, selbst mit Hand anzulegen und dabei mit ihm in einen Austausch über Themen wie Natur, Künstlichkeit, Echtheit, Original und Kopie, Energie oder das Handwerk des Bildhauers zu treten.

Der gemeinschaftlich vollbrachte handwerkliche Akt hatte die Transformation einer Holzbeige in ein aus Ton – also einem anderen natürlichen Material – nachgebildetes Pendant zum Ziel. Konkret bestand die Arbeit im Herstellen von Negativformen aus zuvor gescheiteten Hölzern, in welche der Ton für die «Tonhölzer» in aufwendiger Handarbeit gepresst und anschliessend zu Ziegeln gebrannt wurde – ein Vorgang, der auf die neuzeitliche Nutzung der Klosterkirche als Ziegelbrennerei anspielt.

Typisch für die Herangehensweise von Jan Hostettler ist, dass er alle Aspekte seines Tuns hinterfragt und auch für vermeintlich klare Abläufe eigene Lösungen findet. Somit denkt er den skulpturalen Arbeitsprozess recht eigentlich neu: im Vergleich zu traditionellen Verfahren ist Jan Hostettlers Vorgehen simpel, ja fast archaisch, und zudem bedeutend ökologischer: Im Abformungsprozess kommen weder künstliche Hilfsmaterialen noch chemische Substanzen zum Einsatz. Vielmehr wird die Formbildung durch die Transformation des natürlich am Ort vorhandenen Materials bewerkstelligt.

Indem Jan Hostettler das Ausgangsmaterial – die Buchenholzscheite – in eine neue Form und Materialisierung überführt, sie somit konserviert, veredelt und zugleich ihrer ursprünglichen Funktion entledigt, macht er die Scheiterbeige ‹museumstauglich› – zum Fossil. Die auf den ersten Blick verblüffende Ähnlichkeit von künstlicher Scheiterbeige und natürlichem Vorbild, erinnert an die dem Kunstwerk per se innewohnende, unüberbrückbare Differenz zwischen Vor- und Abbild.

 

Das Scheitern als produktive Kraft und kreativer Motor

Der Werktitel «zusammen scheitern» lässt verschiedene Deutungen zu und vermittelt so die inhaltliche Ambivalenz der Arbeit. Sprachgeschichtlich lassen sich die unterschiedlichen Verständnismöglichkeiten damit erklären, dass sich «scheitern» sowohl auf das germanische Wort «skīda», zu Deutsch «Gespaltenes», als auch auf das mittelhochdeutsche «shīter», respektive auf das neuhochdeutsche «Scheiter» zurückführen lässt, was so viel bedeutet wie «in Stücke gehen» oder «zugrunde gehen». Damit spielt der Titel sowohl auf das gemeinsame Schaffen als auch auf die dabei stets gegebene Möglichkeit einer gemeinsamen Niederlage an.

Im Leben wie in der Kunst kann «scheitern» durchaus auch positiv aufgefasst werden, als wertvoller Zwischenschritt in einem Gestaltungs- oder Lernprozess, der Wissen und Erfahrung mehrt. So verstanden, steht der Titel «zusammen scheitern» stellvertretend für Hostettlers experimentierfreudige künstlerische Praxis, in der vermeintliche Misserfolge stetige Begleiter und Antrieb sind.

In selbstreferenzieller Doppeldeutigkeit gelingt es dem Künstler aber auch, die existentielle Unsicherheit, die das Kunstschaffen grundsätzlich mit sich bringt, auf eine materielle Ebene, also auf das Kunstwerk selbst, zu übertragen.

 

Die Kunst im Energie-Kreislauf

Ein weiterer Aspekt der Arbeit liegt im Verweis auf das Potential von gestapeltem Holz als Energieträger, Wärme- und Lichtquelle. Die Verbrennung von Holz setzt Energie frei, zerstört dabei jedoch das Ausgangsmaterial weitgehend. Allerdings kann die Asche, die übrig bleibt, als Dünger und Bodenverbesserer in den natürlichen Lebenskreislauf zurückgeführt werden und neues Pflanzenwachstum fördern. Im Unterschied dazu ist die Beige aus gebrannten Tonscheiten dem Energiekreislauf entzogen und markiert einen Endpunkt, der – anders betrachtet – aber durchaus auch als Anfangspunkt verstanden werden kann. Denn Kunst ist ein Energiespeicher der anderen Art, löst soziale Interaktion und Reflexion an, öffnet neue Horizonte – ein Holz des Anstosses eben. Damit setzt Kunst auch Energie frei, die für das Funktionieren demokratischer Gesellschaften bedeutend ist.

Jan Hostettler nutzt die Verbrennungsenergie, um ein anderes natürliches Material – den Ton – haltbar zu machen und in ihm die Form des dafür zerstörten Materials – des Holzes – zu konservieren. Wie eine Versteinerung erinnert das Abbild an das nicht mehr vorhandene Vorbild und bezeugt dessen einstige Existenz.

Dabei ist der Ton selbst ein Produkt langsamer, über Jahrmillionen fortschreitender Zerfallsprozesse. In «zusammen scheitern» verschränken sich unterschiedliche Dimensionen von Zeitlichkeit. Vor dem Horizont der unvorstellbar ausgedehnten geologischen Zeiträume erscheint das Antrophozän, das Zeitalter der Menschen, als Fussnote. Und doch, das wird einem gerade an einem Bahnhof mit der hohen Frequenz wie Olten eindrücklich vor Augen geführt, haben die Menschen es verstanden, den Planeten innert kurzer Zeit massiv umzugestalten. Die atem-beraubende Geschwindigkeit unserer Zeit ist beim Dienstraum, im Herz des zentralen Verkehrsknotenpunktes, sehr präsent. Dass die Gewinnung der gigantischen Energiemengen, die für die Aufrechterhaltung unseres zivilisatorischen Systems erforderlich sind, nicht ohne Raubbau an den natürlichen Ressourcen möglich ist, wird einem dadurch bewusst gemacht. – Eine versteinerte Scheiterbeige als Mahnmal also?

Seit den Anfängen menschlichen Zusammenlebens sind Feuer als Keimzellen und Versammlungsorte sozialer Gemeinschaften bekannt – in unseren Breitengraden heute eher im Freizeitbereich, in anderen Ländern aber durchaus noch im alltäglichen Leben.

Auch Bahnhöfe sind potentiell Orte für Begegnungen. Wir hoffen, dass unser Holz des Anstosses auf dem Perron Diskussionen anzuregen vermag und Austausch fördert. 

Künstler*innen

Jan Hostettler (*1988)

Geboren 1988 in Rüttenen, SO und aufgewachsen bei Solothurn. Studium der Bildenden Kunst in Basel. Seit 2020 Vater einer Tochter. Lebt mit seiner Familie in Basel.

Einzelausstellungen

  • 2021 Scheitern, Kloster Schönthal, Langenbruck
  • 2019 Funde, Artis Galerie Büren an der Aare, Ausstellungsraum Delta II, Basel;
  • 2018 Retro, Sic! Raum für Kunst, Luzern;
  • 2017 Aussteigen, Kloster Dornach; Vision, die Diele Zürich;
  • 2016 Aus Europa, Ausstellungsraum Klingental
  • 2015 Beweise, Kunsthaus Baselland, mit Katalog; Ziele, Galerie Cubus-m, Berlin; Zweifel, Galerie Bob Gysin, Zürich; Runout Nr.: 11, zqm, Berlin
  • 2014 Irrtum, Lokal-int, Biel
  • 2013 L’Ouverture, Raum Falko, Basel

Kunst am Bau

  • 2022 Dominikushaus Riehen, eingeladener Wettbewerb
  • 2021 Wettbewerb Kreuzackerpark, BBZ-Campus, Solothurn, Überarbeitungsrunde; Wettbewerb Neubau Stadthausgeviert, Schaffhausen, Überarbeitungsrunde; Wettbewerb Kantonsschule Olten, Überarbeitungsrunde
  • 2020 Wandbild Schulhaus Wylergut, Bern, Überarbeitungsrunde; Stiftung Weidli, Stans, Überarbeitungsrunde
  • 2019 2. Platz, Wettbewerb Neubau Musée Histoire Naturelle Fribourg, mit APZ-Architekten Zürich
  • 2018 Pont – für Amt für Umwelt und Energie, Solothurn (Ausgeführt 2020); Kolk, Brunnen Utoquai Zürich, Wettbewerb 4. Platz, mit APZ-Architekten Zürich

Auszeichnungen & Stipendien

  • 2021 Projektbeitrag Kunstkredit Basel-Stadt; Werkbeitrag Pro-Helvetia für Eisen; Preis der Rentsch-Stiftung Olten
  • 2020 Artist in Residence Kloster Schönthal
  • 2017 Förderbeitrag UBS Kulturstiftung
  • 2015 Reisestipendium, Ateliermondial Basel
  • 2014 Auszeichnungspreis des Kunstvereins & der Stadt Solothurn; Förderpreis Bildende Kunst Kanton Solothurn
  • 2013 Atelierstipendium IAAB, Montréal, Canada
  • 2012 Reisestipendium für Italien, Albert Friedrich His Stiftung, Basel

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Ansichten

Veranstaltungen

18:30 | Museum

FR
16
MAI
Dreifach-Vernissage

Hans Küchler * Schatzkammer * Dienstraum

14:00—14:30 | Dienstraum

SO
10
AUG
«zusammen reden»

Künstlergespräch mit Jan Hostettler