15.11.2021 — 16.01.2022 | Museum
verlängert bis 13.02.2022

Ueli Sager – wortRaum im diensTraum

Dienstraum #15

Auf Einladung der SBB bespielt das Kunstmuseum Olten einen ehemaligen Dienstraum auf dem zentralen Perron Nr. 7 im Bahnhof Olten mit zeitgenössischer Kunst. Die 15. Intervention hat der Aargauer Künstler Ueli Sager (*1947) realisiert.

Der Wortjongleur und Spracharbeiter füllt den Glaskubus mit einem babylonisch anmutenden «Buchstabensalat» – Anagramme°, Palindrome° und sprachliche Spielereien lagern sich an der Scheibe und am Boden als zwei- und dreidimensionale Wortbilder ab, einzelne Objekte schweben im Raum. (Die mit einem ° bezeichneten Begriffe werden im Glossar unten auf der Seite erläutert.)  weiterlesen

Mit seiner Präsentation verleitet der Künstler die Passant*innen zu Gedankenakrobatik und verkürzt ihnen die Wartezeit mit kniffligen Sprachräseln. Er definiert den Bahnhof damit aber auch als einen Ort der Kommunikation und der Begegnungen. Sprache ist hier überall – sie dröhnt aus den Lautsprechern, informiert auf Tafeln und Leuchtanzeigen und springt einen von zahllosen Werbeflächen an. Menschen sprechen miteinander, übereinander, aneinander vorbei... Hält uns der Künstler also vielleicht gar einen Spiegel vor, der uns dazu ermuntert, über unser eigenes Kommunikationsverhalten und unseren Umgang mit Sprache nachzudenken?

Als Arzt, der von 1981 bis 2015 im aargauischen Dorf Möhlin eine Gemeinschaftspraxis geführt hat, weiss Ueli Sager jedenfalls um die Bedeutung sprachlicher Verständigung, um die Wichtigkeit präzise und adäquat gewählter Formulierungen sowie um den Wert eines aufmunternden Wortes oder eines erheiternden Sprachspiels im richtigen Augenblick.

Und so steht die Sprache (in Verbindung mit dem Bild) denn auch im Zentrum seines künstlerischen Schaffens, das seine Tätigkeit als Mediziner schon seit der Ausbildungszeit in den frühen 1970er-Jahren kontinuierlich begleitet.

Ueli Sager begreift Sprache als Material, das sich auf ganz unterschiedliche Art verarbeiten und formen lässt. Manchmal schreibt er Texte, die er als Mitglied der Anagramm-Agentur veröffentlicht oder performt, oft aber sind es auch nur einzelene Wörter oder Wortfolgen, an denen er hängen bleibt und deren Bedeutung er ab- und weichklopft, indem er ihre Form verändert. Er löst die Wörter aus ihrem Zusammenhang, schichtet sie um, verschachtelt sie neu, vertauscht die Buchstaben, anagrammiert vor- und rückwärts, schneidet die so gewonnenen Sentenzen in Holz, druckt sie auf Kartonteller, collagiert, malt Bilder oder verschickt Postkarten.

Für seine transformatorische Kunst wählt Sager oft ein Gegenüber: den Künstlerkollegen, mit dem er in ständigem Austausch steht, die Kollegin, der er Schachtelpost zuschickt, den Freund, dem er den Text oder die Karte neu zusammenschnipselt und ihm damit ein Schnippchen schlägt, die Leserin, die sich in seinen Buchstaben verliert, das Kind, das in seinen Entfaltungen ein Schiff sieht, die Kuratorin, die seine Bleche ordnen soll...

Auch das Kunstmuseum Olten und seine Kuratorinnen sind ihm seit vielen Jahren ein solches Gegenüber. So gibt es kaum eine Einladungskarte, die er nicht verwandelt und zum Kunstwerk mutiert zurückgesandt hätte. Die Museumssammlung dokumentiert dieses Mail Art°-Langzeitprojekt. Daneben ist er aber auch mit einer grossformatigen Décollage° und mit zwei gemalten Sprachbildern («Die nackte Maja» und «Die bekleidete Maja» von 2010) in der Sammlung vertreten und war an zahlreichen thematischen Gruppen- und Sammlungsausstellungen beteiligt. 2007 präsentierte er seinen langjährigen künstlerischen Dialog mit Bruno Landis in der Einzelausstellung «dasABO/BILTEX®» und 2015 zeigte er im Auftrag des Museums an den ersten Oltner Augentagen auf dem Campus der FHNW die Installation «genAUGEsehen». Als regelmässiger Besucher und Freund des Museums bereicherte er 2014 die Publikation «52 Lieblingsbilder aus der Sammlung des Kunstmuseums Olten» mit einem Text über Christian Rothachers «Paletten-Billiard» von 1976.

Im Dienstraum nun schaut er sich gewissermassen selbst über die Schulter, indem er alle dreidimensional materialisierten Sprachbilder aus seinem Atelier in einem traumartigen Reigen im zum «WortRaum» umgewidmeten Dienstraum gemeinsam auftreten lässt. Wie ein Vorhang schieben sich Wort-Girlanden, auf semitransparenten Feldern an die Scheiben geklebt, vor dieses farbenfrohe «Wortbild-Archiv».

«wor tra um wach tra um schlach tra um frach tra um ...» liest man da und merkt sofort, wie es zu klingen beginnt, wie Ueli Sager den «wortraum» lautmalerisch umspielt und zum Klang- und Buchstabenbild werden lässt.

Lassen Sie sich die Silben auf der Zunge zergehen und lesen Sie laut! Geben Sie den Wörtern einen Resonanzraum und machen sie den Bahnhof damit zum poetischen Wortraum! – Auch wenn Sie sich nicht trauen sollten, haben Sie sich von Ueli Sagers augenzwinkernder Wortjonglage bestimmt unterhalten und anregen lassen. Vielleicht nehmen Sie im Zug sogar einen Stift zur Hand und spielen mit eigenen Wörtern weiter... Ihn würde es freuen.


Glossar


Das Anagramm

ist ein durch Umstellung von Buchstaben oder Silben innerhalb eines Wortes entstandenes neues sinnvolles Wort (z. B. WAS DORT? DAS WORT!). In der Schweiz existiert eine kleine Fangemeinde für dieses Phänomen und ihr Potenzial für die Literatur. Ueli Sager gehört dieser als Mitglied der Anagramm-Agentur an.


Die Décollage

ist ein collage-artiges Bildgebungsverfahren. Im Unterschied zur Collage, die lediglich Materialien, Bild- oder Wortfetzen unterschiedlicher Herkunft neu zusammenfügt, kommt bei der Décollage zusätzlich (oder vorgängig) ein dekonstruierendes Element hinzu. Zuerst wird ein Originalbild oder ein Wort, ein Text oder ein Musikstück zerstückelt, es werden Teile abgeschabt oder abgekratzt, um sie dann neu zu montieren. Die Technik hat in den Künsten eine lange Tradition und war u. a. bei den Surrealisten oder bei den Nouveau Realistes beliebt. Ueli Sager décollagiert – als tägliches Ritual – v. a. Tageszeitungen. Mit einem Stück transparentem Klebstreifen entfernt er Teile von Titeln oder Bildunterschriften und klebt diese dann erneut auf Abbildungen auf. Die grosse Décollage in der Sammlung des Kunstmuseums Olten ist indes aus APG-Plakaten der Affichisten-Ausstellung in Basel im Jahr 2015 entstanden.


Mail Art

(engl. «Postkunst»), auch «Correspondence Art» (engl. «Korrespondenzkunst») genannt, bezeichnet im Netz eines Postdienstes versandte Briefe, Karten, Gegenstände und Dokumentationen von Aktionen, Ausstellungen und anderen Kunstprojekten, die von Mail Art Künstler*innen produziert, versendet, gesammelt und archiviert werden. Wichtiger als die materiellen Objekte ist jedoch der Prozess der fortgesetzten kollektiven Selbstschöpfung des Netzwerks durch seine Akteure, also Handeln und Kommunikation: Mail Art ist eine Netzkunst. Im Kontext von Medientheorien und konzeptueller Kunst seit den 1960er-Jahren galten die von Mail-Artisten oder Netzwerkern versendeten Gegenstände und Mitteilungen nur als Spuren des umfassenden künstlerischen, politischen und philosophischen Unternehmens Mail Art. Ihre Ursprünge hat die Mail Art im Umfeld von Neo Dada, Fluxus, Pop Art und der New Yorker Kunstszene. Robert Rehfeldt, Ben Vautier, Wolf Vostell und Ken Friedman waren wichtige Exponenten früher Mail Art-Projekte.

Das Palindrom

ist eine sinnvolle Folge von Buchstaben, Wörtern oder Versen, die vorwärts- wie rückwärtsgelesen (den gleichen) Sinn ergeben (z. B. Reliefpfeiler – Reliefpfeiler, Regal – Lager).

 

Künstler*innen

Ueli Sager (*1947)

wurde in Menziken AG geboren, ist in Beinwil am See aufgewachsen und lebt heute in Suhr. Von 1981 bis 2015 war er als Allgemeinarzt in Möhlin tätig. Parallel verfolgte er als künstlerischer Autodidakt eine zweite Karriere. Er ist Mitglied der visarte Aargau und der Anagramm-Agentur.

Kontinuierlich entwickelt er seine bildnerisch gestaltende Arbeit mit Sprache in Wortbildern, vor allem aus Zeitungsmaterial, konkreter Poesie, Bildmontagen, skulpturalen Objekten, Fotografie, auch mit SEHT-EXTEN und SEHT-AFELN, Übermalungen, Verklebungen. Daneben sind seit den 1970er-Jahren diverse S-8 und 16mm-Filme entstanden, später kamen (bis 2016) jährlich Filme für das Bild- und Tonarchiv der Gemeinde Möhlin hinzu.

Ueli Sager hat mehrere Publikationen herausgebracht und ist seit 1981 regelmässig in Einzel- und Gruppenausstellungen vertreten, u. a. im Aargauer Kunsthaus Aarau, im Kunsthaus Zofingen und im Kunstmuseum Olten sowie in diversen kleineren Kunsträumen. Ein Teil seines Mail-ART-Archivs ist im Museum für Kommunikation in Bern deponiert.

Selbst bezeichnet er sich als Spracharbeiter und Wortakrobat und sagt über sich: «Der Beruf war mein Stand-, die Kunst das Spielbein. Aber auch als Künstler bin ich Allgemeinpraktiker, denn ich hantiere mit Buchstaben, Sprache, Papier wie auch mit Film, Fotos und Holz, das zu Skulpturalem wird.»

Ueli Sager im Kunstmuseum Olten

Der Spracharbeiter, Wortakrobat und «Effekthascher fürs Auge» aus dem Aargau ist dem Kunstmuseum Olten seit vielen Jahren als Künstler, Besucher und Förderer verbunden:

Ausstellungsbeteiligungen

  • 2006 Reisenbahnen (Gruppenausstellung)
  • 2007 Velo & Kunst (Gruppenausstellung)
  • 2007 dasABO/BILTEX® (Einzelausstellung mit Bruno Landis)
  • 2008 Beiz / Bistro (Gruppenausstellung)
  • 2014 Ich. Du. Die Anderen – Künstler portraitieren (Gruppenausstellung)
  • 2015 Ueli Sager. genAUGEsehen (Installation auf dem Campus der FHNW im Rahmen der ersten Oltner Augentage als Beitrag des Kunstmuseums Olten)
  • 2015 DINGS DA (Sammlungspräsentation)
  • 2016 Grüezi! Bienvenue! Welcome! Künstler sehen die Schweiz (Gruppenausstellung)
  • 2019 bilden. formen. modellieren (Sammlungspräsentation)
  • 2019 Das Haus als Spiegel (Sammlungspräsentation)
  • 2021 Dere schöne Aare naa. Ausstellungsteil im Museum (Sammlungspräsentation)
  • 2021 Schatzkammer Sammlung (Sammlungspräsentation)


Werke in der Sammlung (Auswahl)


  • Matterhorn. Disney Land I–IV, 1980
    Fotografie, je 28 x 20 cm
  • Tapp-Kick, 1981
    Fotocollage auf Fotopapier, 10.5 x 14.7 cm
  • Gute Fernsicht, 1982
    Multiple und Buch, 14.7 x 20.5 x 1.2 cm
  • Challenger, 1986
    Fotografie auf Karton, 29.7 x 21 cm
  • Ueli Sager & Max Woodtly: Die ganze Ästh-Ethik, 1987
    Buchdruck auf Papier, 25 x 17.5 cm
  • l'essence, 1989
    Linolschnitt auf Büttenpapier, 27 x 19.8 cm
  • bleibeileib, 1991
    Prägedruck auf Büttenpapier, 26.8 x 37.4 cm
  • MIT-TEL-LUR-CHE, 1991
    Linolschnitt auf Papier, 38.5 x 13.8 cm
  • Die bekeidete Maja & Die nackte Maja, 2010
    Fotodruck auf Leinwand, je 40 x 60 cm
  • Décollage des Affichistes, 2015
    Décollage/Acryl auf Plakatpapier, 127 x 270 cm
  • mehrere Fotocollagen mit Bildern aus dem Museum
  • ca. 40 Décollagen von Zeitungsartikeln und Einladungskarten des Museums

Abbildungen ausgewählter Werke finden Sie unten in der Galerie.

Ueli Sager hat die Sammlung auch mit zahlreichen Schenkungen bedacht, u. a. mit Werken von Andreas Hofer, Bruno Jakob, Werner Hartmann, Josef Felix Müller, Flavio Paolucci, Hugo Suter u. a.


Veranstaltungen


  • 2016 Anagramm-Abend mit der Anagramm-Agentur im Rahmen der Ausstellung «Das Leben ist kein Ponyhof»


Publikationen


  • Text zu Christian Rothachers «Paletten-Billiard» von 1976, in: 52 Lieblingsbilder aus der Sammlung des Kunstmuseums Olten, 2014

 

Ansichten

Veranstaltungen

18:00 | Museum

Di
11
JAN
Treffen mit Ueli Sager

bei seiner Dienstraum-Installation